Regierung verlangt unabhängige Aufsicht über Nagra
24.10.2012
Der Regierungsrat ist besorgt über die jüngste Entwicklung rund um die Standortsuche für ein geologisches Tiefenlager. Durch die Ereignisse der letzten Wochen werden die vor kurzem erhobenen Vorwürfe erhärtet, dass die Aufsichtsbehörden (BFE, Ensi) nicht entsprechend ihrem Auftrag gegenüber den Entsorgungspflichtigen (Nagra) auftreten. Die Glaubwürdigkeit der Nagra hat gelitten.
Der Regierungsrat begleitet das Sachplanverfahren zur Suche geologischer Tiefenlager für radioaktive Abfälle in der Schweiz konstruktiv, aber sehr kritisch. Er lehnt Lagerstandorte in unmittelbarer Nähe zur Agglomeration Schaffhausen, wo 80 Prozent der Bevölkerung und Arbeitsplätze im Kanton konzentriert sind, als unzumutbar ab.
Die Regierung hat in früheren Stellungnahmen gefordert, dass die wissenschaftlichen Kenntnisse in allen vorgeschlagenen Standortregionen auf denselben Stand gebracht werden müssen, bevor entschieden wird. Eine vorschnelle Einengung ist nicht zulässig. Standortregionen dürfen nur ausgeschlossen werden, wenn sie nachweislich die sicherheitstechnischen Anforderungen nicht erfüllen. Mit den in verschiedenen Regionen zwischenzeitlich durchgeführten 2D-Seismikmessungen ist ein Schritt in diese Richtung erfolgt. Aufgrund der publik gewordenen Unterlagen der Nagra sind allerdings erhebliche Zweifel angebracht, ob die Nagra wirklich gewillt ist, alle Standortgebiete mit derselben wissenschaftlichen Tiefe zu untersuchen. Der Regierungsrat verlangt den Tatbeweis, dass die Auswertungen der Seismikmessungen und alle weiteren Untersuchungen mit der notwendigen Objektivität und ergebnisoffen gemacht werden. Will die Nagra glaubwürdig werden, muss sie die Dokumente rund um das "Referenzszenario" offenlegen.
Die Nagra muss sich zudem auf die ihr zugewiesene Rolle beschränken, d.h. auf ihre wissenschaftlich-technische Arbeit, und nicht die Öffentlichkeitsarbeit und politische Lobbyarbeit forcieren. Im Übrigen nimmt der Regierungsrat mit Besorgnis zur Kenntnis, dass kritische Expertenstimmen in der Diskussion teilweise ausgegrenzt werden. Dies erschwert die Erarbeitung von guten Lösungen für die Entsorgung der hochgiftigen Abfälle und für die noch vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit der Tiefenlagerung (Rampe oder Schacht, Gasentwicklung, Verschluss, Markierung etc.).
Der Regierungsrat fordert daher eine objektive Überprüfung der Organisation in der nuklearen Entsorgung und des Sachplanverfahrens. Diese Abklärungen sind von einer vertrauenswürdigen und unabhängigen Stelle vorzunehmen. Organisatorische Anpassungen sind dabei in jedem Fall unabdingbar. Es braucht eine unabhängige, fachlich kompetente Aufsicht über die Arbeiten der Entsorgungspflichtigen, damit eine ergebnisoffene Führung des Prozesses garantiert werden kann. Andernfalls sind die Aufgaben der Entsorgung dem Staat zu übertragen. Das Rollenverständnis des BFE als "Coach" der Nagra ist unzulässig.
Die Diskussionen in den Regionalkonferenzen über Standorte der Oberflächenanlagen sind verfrüht, insbesondere auch deshalb, weil eine vertiefte Diskussion der anzuwendenden Kriterien unter Einbezug der Kantone erst jetzt läuft. Der Sicherheit muss in allen Bereichen Priorität eingeräumt werden, auch bei den Oberflächenanlagen. Die Diskussion konkreter Standorte vor einer genaueren Festlegung des Lagerperimeters in der Tiefe, vor detaillierten hydrogeologischen Abklärungen und vor dem Ausarbeiten konkreter Störfallszenarien hält der Regierungsrat für falsch. Die Sicherheit muss zudem integral (Tiefenlager, Zugangsbauwerk und Oberflächenanlagen) und über alle Betriebsphasen (Bau, Betrieb, Verschluss) beurteilt werden. Dies macht deutlich, dass die Zeitpläne zu eng sind und dadurch viele teure Doppelspurigkeiten geschaffen werden. Die Abfälle müssen für bis zu einer Million Jahre sicher gelagert werden. Eine schnelle Lösung mag kurzfristig günstiger sein, sie wird die Bevölkerung aber längerfristig teuer zu stehen kommen. Der Regierungsrat ist verpflichtet, im Interesse der Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Schaffhausen sicherzustellen, dass das Verfahren und die Entscheide korrekt erfolgen.